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Sales in 2030: Wie KI Sales revolutionieren wird.
Von: Michael Vaclav 24.09.2024 19:01:39
Jamie Dimon, der Chef der weltgrößten Bank JP Morgan ist davon überzeugt, "dass die Folgen von KI außerordentlich sein werden und möglicherweise genauso umwälzend wie einige der größten technologischen Erfindungen der letzten Jahrhunderte", wie etwa die Erfindung des Buchdrucks, der Elektrizität, Telefonie oder des Internets.
Die Beratungsfirma McKinsey geht davon aus, dass alleine in den USA bis 2030 ca. 12 Millionen Erwerbstätige gezwungen sein werden, in einen neuen Beruf zu wechseln. Ein Beispiel dafür ist auch UPS. Dort wurde der Abbau von 12.000 aus 85.000 Stellen im Management mit der Effizienzgewinnung durch KI begründet.
Aber wie sieht das im Vertrieb aus?
KI im Vertrieb? Eine gute Verkäufer:in kann kein Tool ersetzen. Punkt.
Ich beschäftige mich bereits seit Jahren mit Sales Automation und weiß, dass die erste Reaktion aus dem Vertrieb ein fast reflexartiges "nichts kann eine gute Vertriebsperson ersetzen" ist.
Und dennoch ist Sales Automation immer weiter auf dem Vormarsch. Und es stimmt natürlich schon: Eine gute Person im Vertrieb kann man nicht ersetzen. Nicht, wenn es um die Dinge geht, die nur eine gute Person im Sales machen kann. Aber was ist mit den Dingen, die nicht unbedingt von einem Menschen gemacht werden müssen?
Und was muss im Sales überhaupt von einem Menschen gemacht werden? Sehen wir uns dazu einmal den typischen B2B Sales Verkaufsprozess an.
Wie sieht der typische Verkaufsprozess im B2B Sales aus?
Im Sales gibt es zwei grundsätzliche Quellen in der Akquise. Die Leads, die man aktiv anspricht und jene die von selbst auf eine Lösung/Unternehmen aufmerksam werden und sich melden. Unterscheiden wir einmal diese beiden Quellen und sehen wir uns die typischen Schritte dahinter an.
- Cold Outreach bzw. Warm Connect: Um überhaupt an Leads zu kommen und ein erstes Gespräch zu führen, ist es oft nötig entweder den Hörer in die Hand zu nehmen oder Nachrichten bzw. E-Mails zu versenden.
- Erstgespräch: Dieses dient der Qualifikation des Leads. Oft werden BANT-Kriterien geprüft und die Situation des Leads ermittelt. Wir wollen an dieser Stelle bestimmte Informationen erhalten, um realistisch abschätzen zu können, ob unsere Leistungen oder Produkte auch wirklich passen und der Lead auch wirklich heiß ist.
- Präsentationstermin: In diesem Meeting werden die eigenen Leistungen bzw. Produkte vorgestellt und auf die Fragen des Leads eingegangen. Ziel ist es, dass der Lead live erlebt, wie gut die Lösung zu den Herausforderungen passt. Spätestens hier stellt sich oft die Frage der d Kosten.
- Angebotsbesprechung: Hier werden die Inhalte des Angebots nochmal besprochen, Timings durchgegangen und anschließend idealerweise ein Starttermin vereinbart.
- Angebote nachfassen: Nicht alle Leads unterschreiben gleich und so wie es vereinbart war. Daher muss vielleicht noch ein paar Mal erinnert und nachgefasst werden, damit diese Leads auch wirklich unterschreiben.
- Übergabe an Umsetzung: Wurde die Unterschrift geleistet, geht der Deal auf gewonnen und die im Vorfeld erhobenen Informationen, gehen an die Umsetzung.
Ja klar, geringfügig kann der Prozess von Unternehmen zu Unternehmen variieren, aber im Großen und Ganzen läuft es ziemlich gleich, wenn wir uns ehrlich sind.
Funktioniert Cold Calling mit KI?
Tja, wie soll das funktionieren? Erstens: Wir überlegen wie es um 2030 bestellt ist und nicht 2024. Behalten wir das bitte im Hinterkopf. Zweitens: Es geht jetzt auch schon. Ein kleines Unternehmen, dass sich auf Start-ups spezialisiert hat, führte ein Experiment mit ChatGPT durch. Auch wenn hier noch definitiv Luft nach oben verortet wurde, zeigt sich dennoch in welche Richtung es gehen wird. Hier der Link zum Artikel: https://startup-creator.com/blog/cold-call-mit-chatgpt/
Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass es in den nächsten Jahren einige KI-ChatBots geben wird, die von echten Menschen nicht zu unterscheiden sein werden. Vor allem für ein erstes kurzes Gespräch zur Qualifizierung und Vereinbarung eines Erstgesprächs.
Funktioniert Cold Messaging mit KI?
Wenn eine KI telefonieren kann, kann sie dann auch Texte schreiben? Ja. Und das vermutlich besser als viele echte Menschen. Überlegen Sie nur einmal wie viele langweilige, eigentlich grausame, Nachrichten Sie z.B. per LinkedIn bekommen.
Das liegt daran, dass viele Unternehmen im Sales auf Masse gehen. Da fehlt die Zeit Informationen über das Gegenüber zu sammeln und das Resultat sind generische und einfach schlecht gemachte Nachrichten. Eine KI kann natürlich deutlich schneller und umfangreicher recherchieren.
In Millisekunden wird erforscht, welche Interaktionen es mit dem Unternehmen oder sogar mit dem Kontakt aus vorherigen Unternehmen gegeben hat. Wo dieser vielleicht noch aktiv ist (Hobbies, Vereine, etc.) und welche Verbindungen vielleicht sonst noch spannend sein können (Web Technologien, bestimmte Ereignisse, etc.). Und dieser Mix kann genutzt werden, um passgenaue Nachrichten zu formulieren. Sei es nun per E-Mail oder im Chat auf z.B. LinkedIn.
Übrigens habe ich das selbst ausprobiert bei simpli.bot. Das Unternehmen bietet einen WhatsApp Chatbot an, mit dem man ein Erstgespräch führen kann. Funktioniert erstaunlich gut. Meiner Meinung nach haben sie den Bot zu sehr mit "hard selling" Techniken gefüttert, aber das ist Geschmacksache.
Funktionieren Sales Erstgespräche mit KI?
Das Erstgespräch bietet sich schon fast als Meeting mit einem echten Menschen an und ich vermute, dass genau dieser Part noch lange nicht automatisiert werden wird. Das aber auch einfach nur aus einem Gefühl heraus. Denn technisch wäre das durchaus möglich.
Viele Tools können Avatare - die übrigens heute schon teilweise sehr echt wirken - von echten Personen erstellen. Synthesia beispielsweise bietet diese Technologie für die Erstellung von Videos an. Auch Apple Vision hat eine solche Lösung integriert für die eingebauten Calling-Funktionen.
Avatare sind also nicht das Problem und ehrlicherweise muss ja nicht einmal ein Avatar einer echten Person aus dem Sales Team erstellt werden. Dafür kann auch ein fiktiver Mensch herhalten.
Die Herausforderungen des Gegenübers aufzunehmen, Fragen zum Produkt oder zum Service zu beantworten, etc. - das ist die eigentlich Aufgabe in diesem Gespräch. Und natürlich: Wenn die KI Zugriff auf Produkt- bzw. Servicebeschreibungen erhält, kann sie Fragen dazu auch in der Tiefe beantworten und auch Lösungsvorschläge machen.
Falls Sie das nicht glauben, dann geben Sie mal einfach die Dinge die Ihre Leads Sie fragen in Googles Gemini, Microsofts Copilot oder ChatGPT ein. Sofern es nicht um Spezifikationen einer speziellen Maschine geht deren Daten nicht öffentlich verfügbar sind, funktioniert das hervorragend.
Und ein riesiger Vorteil noch bei der Nutzung von KI in diesem Schritt: Alle Informationen, inklusive Zusammenfassung, Taskliste, etc., wird gleich ins CRM eingetragen. Das können nicht alle Sales Reps von sich behaupten 😜
KI Präsentationstermine: Geht das?
Das wird dann wohl die einfachste Übung. Wenn wir der KI einen Demo-Account erstellen und sie diesen steuern lassen, haben wir bereits gewonnen. Denn ein vorgefertigtes Skript für die Demo durchzugehen und die jeweiligen Funktionen, Services usw. zu visualisieren, stellt kein Problem dar.
Aber was macht eine gute Demo aus? Es geht darum, auf die Anwendungsfälle und Fragen während der Demo einzugehen. Usecases direkt zu präsentieren. Und das ist ebenfalls eine Stärke der KI, denn selbst der erfahrenste Vertriebsmitarbeiter muss manchmal überlegen, wie sich etwas lösen lässt oder muss nach einem Upgrade, neuen Funktionen usw. umdenken.
Die KI hingegen ist immer auf dem neuesten Stand und wirkt auch nicht genervt, wenn dieselbe Frage zum gefühlt 500. Mal gestellt wird.
Angebotsbesprechungen mit KI führen?
Mit einer KI verhandeln? Klingt eigenartig, könnte aber schon bald Realität werden. KIs geben Rabatte nicht, weil sie noch dringend die Provision benötigen oder den Umsatz, damit sie es über die Probezeit schaffen oder andere Ziele erreichen müssen. Sie können viel nüchterner an die Sache herangehen.
Und tatsächlich gibt es bereits CRM-Tools, die auf KI-Basis anzeigen, wie viel Rabatt maximal gewährt werden sollte, basierend auf den vorhandenen Informationen. Diese Technologie ermittelt schnell den Sweetspot für ein optimales Pricing.
Angebote mit KI nachfassen?
Wenn wir bereits in der Lage sind, Angebote zu erstellen und zu verhandeln, sowie individuelle Demos und Erstgespräche durchzuführen, dann sollte dies kein Hindernis mehr darstellen.
Man kann entweder ein vorgegebenes Skript verwenden, das eine Mischung aus E-Mails, Anrufen und z.B. LinkedIn-Nachrichten umfasst, oder die KI basierend auf den bisherigen Interaktionen entscheiden lassen, wie sie den Kontakt aufnimmt.
Übergaben an andere Teams mit KI?
Es könnte kaum einfacher sein. Die KI hat alle Informationen gesammelt und im CRM dokumentiert. Nun kann sie auch eine Zusammenfassung erstellen (sogar als Audio- oder Videodatei) mit einer Checkliste usw. – also wirklich eine einfache Aufgabe, die mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser und informativer erledigt wird.
Einwurf: Bei uns geht das nicht, der persönliche Bezug und das Vertrauen ist bei uns wichtig!
Das kann durchaus zutreffen. In diesem Fall sind Sie wahrscheinlich nicht im B2B-"Massenmarkt" tätig. Wenn Sie beispielsweise SaaS-Lösungen verkaufen, haben Sie es in 80% der Fälle mit Leads zu tun, die Ihnen vorher unbekannt waren. Das gilt auch für viele andere Branchen.
Natürlich, wenn Sie in einem Bereich wie dem Kraftwerksbau tätig sind, wo Sie nur wenige potenzielle Kund:innen haben und über Jahre hinweg persönliche Beziehungen aufgebaut und gepflegt haben, dann sind Automatisierung und KI wahrscheinlich nichts für Sie.
Dieses Argument trifft jedoch nur in solchen speziellen Fällen zu. Der Rest von uns wird sich mit einer Schritt-für Schritt Einführung von KI im Sales konfrontiert sehen. Ungeachtet dessen, ob wir das wollen oder nicht.
Würden Sie lieber mit einer KI sprechen als mit einem Menschen?
Auch wenn dieser Blog-Beitrag vielleicht zunächst eine Abwehrreaktion auslöst, versuchen Sie, ihn neutral zu betrachten.
Ich denke, die Antwort wird oft sein: "Nun, die ersten Gespräche über das Produkt würde ich schon mit einer KI führen, aber sobald es um den Vertrag geht, möchte ich mit einem Menschen sprechen."
Das kann ich gut nachvollziehen und mir geht es genauso. Allerdings gewöhnen wir uns allmählich an KI-Interaktionen, wenn beispielsweise der KI-Support-Call-Center-Agent und auch die ChatGPTs, Copilots und Geminis dieser Welt anfangen, mit uns zu kommunizieren.
Fazit: Wird KI uns im Sales ablösen?
Schritt-für-Schritt wird das passieren. Wir sind es natürlich gewohnt mit Menschen im Sales zu sprechen. Aber es ist auch nicht so, als ob unsere Leads das wirklich wollen. 80% der Customer Journey ist meistens schon abgeschlossen, bevor es einen Kontakt mit Sales gab.
Warum? Weil Menschen sich ungern etwas verkaufen lassen. Sie wollen lieber selbst recherchieren. Erst wenn Sie dann selbst nicht mehr weiterkommen, machen sie den Schritt in Richtung Sales. KI bietet uns hier den nächsten Schritt in der Eigenrecherche.
Statt eines öden Vertriebsprozesses wie den oben geschilderten, kann sich die KI den Bedürfnissen, Fragen und Usecases der Leads widmen und auf diese eingehen. Tatsächlich beraten und bei den eigenen Recherchen helfen. Ich denke wir müssen das aus dieser Perspektive sehen.
Der nächste Schritt: Die automatische Bestellung. Habe ich alle Informationen, kann ich bestellen. Ohne, dass ich mit einem Menschen gesprochen habe.
Die Automobilbranche ist hier ein gutes Beispiel. Gebetsmühlenartig wurde immer wieder behauptet, dass es unmöglich sei, PKWs online zu verkaufen. Nun ja, ungeachtet dessen was man von Elon Musk halten möchte, die Branche hat er ziemlich revolutioniert. Und nachdem das 2023 weltweit am häufigsten Verkaufte Auto das Model Y von Tesla war, scheint auch hier der Kontakt zu Sales nicht unbedingt erforderlich gewesen zu sein.
Aus meiner Perspektive muss und wird es KI den Leads leichter machen zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Und daher wird es akzeptiert. Und wenn es gesellschaftlich akzeptiert ist, wird es zum neuen Standard.
Dauert das noch 5 Jahre? Ja, wahrscheinlich gibt es 2030 die ersten Unternehmen mit einem komplett KI-gesteuerten KI-Sales mit menschlichen Backups und Kontrollen. Meine Empfehlung: Beschäftigung mit der Materie, bevor man davon überrollt wird.
Zum Abschluss noch eine Einladung: Wenn Sie über KI-Entwicklungen im Sales diskutieren möchten, nutzen Sie einfach meinen Kalender. Vielleicht bringen wir ja eine kleine feine B2B Sales KI Gruppe zusammen: https://www.brandreach.at/meetings/michael-vaclav
Geschrieben von Michael Vaclav
Michael Vaclav ist Senior Consultant Marketing & Sales Automation bei brandREACH und für die Beratung von Kund:innen hinsichtlich der Einführung & Optimierung von Marketing Automation zuständig. Darüber hinaus ist er Unterrichtender & Vortragender an Universitäten, Fachhochschulen und Fachkonferenzen zum Thema Marketing Automation. Seit 2021 leitet er im Rahmen seiner Tätigkeit als DMVÖ Vorstandsmitglied die Expert Group Marketing Automation.